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Klarer Kopf, offenes Herz: Bauchgefühl, Emotionen und Ethik in Verhandlungen

Neulich fragte jemand in einem Verhandlungsseminar: „Ist es eigentlich in Ordnung, meinen Verhandlungspartner emotional zu machen?“


Eine klassische Frage. Meine instinktive, eher britische oder deutsche Antwort war, rational zu bleiben – schließlich haben die meisten von uns auf die harte Tour gelernt, dass es selten zu dauerhaften Vereinbarungen führt, wenn man seinen Emotionen freien Lauf lässt. Aber mein Teilnehmer hatte etwas Subtileres im Sinn: Er sprach nicht davon, Leute aufzuregen oder einen Streit zu provozieren. Was er meinte, war Folgendes: Ist es möglich, Gefühle zu nutzen – an die Sinne oder sogar das Herz einer Person zu appellieren –, um die Dinge voranzubringen? Kann die Atmosphäre in einer Verhandlung dazu beitragen, das Ergebnis zu beeinflussen? Gibt es so etwas wie hilfreiche Emotionen in Verhandlungen?


Wie so oft in diesem Bereich lässt sich diese Frage nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten.

 


Quelle: Gemini KI
Quelle: Gemini KI

Emotionen, Gefühle und die Stimmung im Raum

Lassen Sie uns zunächst die Begriffe klären. Wenn wir über Emotionen in Verhandlungen sprechen, denken wir in der Regel an diese scharfen, schnellen Reaktionen – Wut, Angst, Freude, Frustration –, die ein Gespräch fast unbemerkt übernehmen können. Es gibt auch länger anhaltende Gefühle wie Wohlbefinden oder Unbehagen und allgemeinere Gemütszustände oder Stimmungen: Vertrauen, Ruhe, Optimismus oder eine vorsichtige Neugier. Diese länger anhaltenden Zustände bestimmen den Ton einer Verhandlung.


Und dann gibt es noch das Bauchgefühl – diese leise Stimme in Ihrem Inneren (was die Deutschen als „Bauchgefühl” bezeichnen) –, die Ihnen manchmal zuflüstert: „Da stimmt etwas nicht” oder „Mach es”. Es ist Ihr Verstand, der hinter den Kulissen arbeitet und Erfahrungen und subtile Hinweise zusammenfügt.


All diese Faktoren – Emotionen, Gefühle, Gemütszustände und Bauchgefühl – spielen bei jeder Verhandlung eine Rolle, ob wir es wollen oder nicht. Die eigentliche Kunst besteht nicht darin, Emotionen zu unterdrücken, was unmöglich ist, sondern mit ihnen zu arbeiten: die hilfreichen Gefühle zu nutzen, die weniger nützlichen zu steuern und vor allem ein Umfeld zu schaffen, in dem alle klar denken und fair handeln können.

 

Warum sowohl Bauchgefühl als auch Verstand wichtig sind

Wenn Sie Daniel Kahnemans „Schnelles Denken, langsames Denken“ gelesen haben, wissen Sie, dass er zwischen zwei Arten des Denkens unterscheidet: einer schnellen, intuitiven und emotionalen („System 1“) und einer langsamen, überlegten und rationalen („System 2“).Verhandlungen erfordern beides. Das Bauchgefühl kann Sie auf subtile Signale aufmerksam machen – ein Zögern in der Stimme Ihres Gegenübers, eine Diskrepanz zwischen dessen Worten und dessen Körpersprache oder ein Angebot, das zu gut klingt, um wahr zu sein. Sich jedoch allein auf den Instinkt zu verlassen, kann Sie auch in die Irre führen, insbesondere wenn Sie müde oder hungrig sind oder emotionale Altlasten aus einem früheren Geschäft mit sich herumtragen.


Die besten Verhandlungsführer hören meiner Meinung nach auf ihr Bauchgefühl und überprüfen es dann mit ihrem Verstand. Sie haben vielleicht das Gefühl, dass etwas nicht stimmt, aber bevor Sie handeln, halten Sie inne, prüfen Sie es und stellen Sie eine klärende Frage. Erst fühlen, dann überprüfen. Wenn Sie einen Teil Ihres Verstandes ignorieren, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass Sie etwas Wichtiges übersehen.

 

Was tatsächlich hilft: Den richtigen Ton treffen

Nun ist nicht alles, was bei Verhandlungen nützlich ist, technisch gesehen eine „Emotion”. Meiner Erfahrung nach macht es einen großen Unterschied, wenn man bestimmte Gemütszustände und Einstellungen in der Verhandlung. Wenn Sie dazu beitragen können, eine Atmosphäre der Neugier zu schaffen, werden die Menschen eher echte Fragen stellen und Möglichkeiten ausloten, anstatt nur ihre Positionen zu verteidigen. Neugier beginnt oft als ein Funken Interesse – vielleicht sogar als ein emotionaler Funke –, aber entscheidend ist, wie sie sich zu einer offenen, konstruktiven Haltung entwickelt.


Auch Ruhe ist nicht wirklich eine Emotion, sondern eher das Fehlen störender Gefühle. Es ist der Zustand, in dem Menschen tatsächlich nachdenken, reflektieren und manchmal sogar ihre Meinung ändern können. Als Verhandlungsführer geben Sie den Ton an – indem Sie das Tempo drosseln, sich Zeit zum Zusammenfassen nehmen und keine Angst vor ein wenig Stille haben.


Vertrauen ist ein weiterer wichtiger Faktor, auch wenn es sich dabei weniger um eine Emotion als vielmehr um ein gemeinsames Gefühl der Zuversicht handelt, dass beide Seiten in gutem Glauben handeln werden. Vertrauen baut man in kleinen Schritten auf: Man hält, was man verspricht, ist ehrlich in Bezug auf seine Grenzen und vermeidet clevere Tricks, mit denen man zwar einen Punkt gewinnen, aber die Beziehung verlieren könnte.


Auch ein leiser Optimismus kann viel bewirken. Es geht nicht darum, naiv fröhlich zu sein, sondern darum, das Gefühl zu bewahren, dass eine Lösung möglich ist. Optimismus ist ansteckend: Wenn Menschen glauben, dass Fortschritte möglich sind, werden sie flexibler und kreativer.


Und schließlich gibt es noch Respekt und Würde. Das sind keine Emotionen, sondern Bedürfnisse. Wenn Sie Menschen ihre Würde lassen und ihnen das Gefühl geben, respektiert zu werden, werden sie mehr erreichen, als wenn Sie einfach versuchen, auf ihre Kosten zu „gewinnen”.

 

Die wirklichen "Dealbreaker"

Allerdings können manche Emotionen selbst die besten Pläne zunichte machen. Wut zum Beispiel kann auf ein echtes Problem hinweisen, aber wenn man ihr freien Lauf lässt, trübt sie das Urteilsvermögen und verhärtet die Positionen. Wenn Sie spüren, dass Wut aufkommt, ist es oft am besten, sie sanft zu benennen („Ich verstehe, dass das frustrierend ist“) und daran zu arbeiten, die Situation zu entschärfen, beispielsweise indem Sie das Problem in kleinere Teile zerlegen.


Angst und Unsicherheit sind ebenso wenig hilfreich, da sie Menschen in eine defensive Haltung versetzen und kreatives Denken verhindern. Das Gegenmittel hierfür ist Klarheit: Machen Sie den Prozess transparent, unterteilen Sie die Vereinbarung in überschaubare Schritte und seien Sie offen in Bezug auf Ihre Alternativen. Niemand mag vage Drohungen.


Das Schlimmste ist Verachtung. Sobald sie sich einschleicht, schwindet die Empathie und die Verhandlung wird zu einem Kampf. Wenn Sie Verachtung spüren, sei es bei sich selbst oder bei Ihrem Gegenüber, ist es an der Zeit, eine Pause einzulegen und zu versuchen, das Gespräch wieder auf das Thema und nicht auf die Persönlichkeiten zu lenken.

 

Einflussnahme versus Manipulation – wo liegt die Grenze?

Seien wir ehrlich: Ein bisschen Psychologie einzusetzen, um eine Verhandlung reibungslos zu gestalten, ist kein Verbrechen. Aber es gibt eine Grenze zwischen Einflussnahme und Manipulation. Es ist völlig in Ordnung, Ihr Verständnis von Menschen zu nutzen, um Werte zu verdeutlichen, Vertrauen aufzubauen und beiden Seiten zu helfen, zu erkennen, was möglich ist. Wenn Sie jedoch eine falsche Dringlichkeit erzeugen, die wahren Fakten verschleiern oder Panik oder Scham auslösen wollen, haben Sie die Grenze zur Manipulation überschritten. Der ethische Test ist einfach: Wenn es Ihnen unangenehm wäre, Ihre Taktik vor der anderen Partei laut zu beschreiben, sollten Sie sie wahrscheinlich besser unterlassen.

 

Bauchgefühl: Ein heimlicher Verbündeter – aber niemals Ihr einziger

Das Bauchgefühl ist ein wunderbares Frühwarnsystem, aber es reicht allein nicht aus. Vertrauen Sie Ihren Instinkten, insbesondere wenn sie auf realen Erfahrungen beruhen. Wenn etwas nicht ganz stimmt oder Sie eine Diskrepanz zwischen Worten und Verhalten feststellen, lohnt es sich, inne zu halten und nachzudenken.

Seien Sie jedoch vorsichtig, wenn Sie müde, hungrig oder verärgert sind – Ihr Bauchgefühl kann Sie täuschen, wenn Sie nicht in Bestform sind. Es kann auch durch alte Stereotypen oder den Drang, um jeden Preis „gewinnen” zu wollen, in die Irre geführt werden. Wenn Sie Zweifel haben, schreiben Sie Ihr Bauchgefühl auf und überprüfen Sie es anhand von Beweisen oder einer behutsamen Frage.

 

Die richtige Stimmung im Raum schaffen

Ein wenig Vorbereitung kann viel bewirken. Denken Sie neben Ihren Fakten und Zahlen auch über die emotionale Seite nach: Was möchten Sie fühlen und wie können Sie sich darauf einstellen? Was könnte die andere Seite provozieren und wie können Sie ihr helfen, sich sicher und offen zu fühlen, anstatt defensiv zu reagieren?

Verwenden Sie während des Gesprächs Ihre Sprache, um das, was Sie spüren, zu benennen und zusammenzufassen. „Es klingt, als wäre das Timing ein echtes Problem“ oder „Ich höre heraus, dass Sie sich Gedanken über das Risiko machen – sollen wir darüber sprechen, wie wir es reduzieren können?“ Solche Formulierungen helfen dabei, Gefühle offen zu legen, sodass man leichter damit umgehen kann.

Wenn die Situation angespannt wird, scheuen Sie sich nicht, eine Pause einzulegen. Manchmal kann eine einfache Unterbrechung – fünf Minuten für ein Glas Wasser oder frische Luft – die Stimmung komplett verändern.


Und denken Sie daran: Seien Sie hart in der Sache, aber weich in der Person. Halten Sie sich an die Fakten und Probleme, aber niemals auf Kosten des grundlegenden Respekts.


Quelle: Gemini KI
Quelle: Gemini KI

 

Wie es funktioniert: Ein einfaches Beispiel

Stellen Sie sich vor, Sie fühlen sich in Bezug auf den Preis angegriffen. Wenn Sie zurückschlagen, defensiv reagieren oder mit Sarkasmus antworten, kommt das Gespräch schnell zum Erliegen. Es entsteht eine unangenehme Stille, und höchstwahrscheinlich kommt kein Geschäft zustande.


Angenommen, Sie bemerken stattdessen Ihre eigene Reaktion und bewahren Ihre Gelassenheit. Sie erkennen das Problem an: „Ich verstehe, dass der Preis für Sie ein echter Knackpunkt ist. Lassen Sie uns die Zahlen durchgehen und sehen, ob wir sie in Teile aufschlüsseln können.“ Plötzlich arbeiten Sie zusammen, statt zu kämpfen – und neue Lösungen sind möglich.

 

Ihre Checkliste für Verhandlungen

Es ist hilfreich, vor Ihrer nächsten Verhandlung einige Dinge zu bedenken:

  • Was möchte ich, dass beide Seiten zu Beginn empfinden?

  • Welche Gemütsverfassung wird uns helfen, etwas zu erreichen?

  • Welche emotionalen „Warnsignale“ könnten auftreten?

  • Wie bleibe ich gelassen, wenn die Situation hitzig wird?

  • Welche sanfte Frage oder Formulierung kann ich verwenden, wenn mein Bauchgefühl mir sagt, dass etwas nicht stimmt?

 

Ein letzter Gedanke zum Schluss

Bei Verhandlungen geht es nicht darum, Emotionen zu unterdrücken oder die Situation künstlich anzuheizen. Es geht darum, mit der Realität zu arbeiten, die sich Ihnen bietet. Fördern Sie Neugier, Gelassenheit und gegenseitigen Respekt. Erkennen Sie Wut, Angst oder Verachtung frühzeitig und lenken Sie die Situation wieder in die richtige Bahn. Seien Sie hart in der Sache, aber sanft im Umgang mit Menschen.

Wenn Sie das tun – und Ihrem Bauchgefühl Gehör schenken, ohne ihm jedoch die entscheidende Stimme zu geben –, werden Sie bessere Geschäfte machen und, was noch wichtiger ist, sich einen Ruf für Fairness und gutes Urteilsvermögen aufbauen. Und das ist auf lange Sicht mehr wert als jeder kurzfristige Gewinn.

 
 
 

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