Verhandeln, wenn Logik nicht hilft: Praktische Wege zum Umgang mit „irrationalem“ Verhalten
- Sebastian Hawkins

- 22. Sept.
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 23. Sept.
Dieser Artikel basiert auf einer Frage, die mir kürzlich in einem Seminar gestellt wurde: „Was tut man, wenn sich die andere Seite einfach nicht rational verhält?“ Sie bereiten sich gut vor, Sie präsentieren klare Optionen – und dennoch lehnt die andere Seite praktikable Lösungen ab, ändert ohne Vorwarnung die Richtung oder argumentiert eher emotional als sachlich. Viele Verhandlungsführer bezeichnen dies als „irrationales“ Verhalten. Im Folgenden finden Sie eine klare Herangehensweise, wie Sie dieses Verhalten erkennen und frühzeitig erkennen können, sowie zehn praktische Schritte, mit denen Sie den Verhandlungsfortschritt aufrechterhalten können.

Was verstehen wir unter „irrational“?
„Irrational“ bedeutet hier nicht, dass eine Person in allen Bereichen ihres Lebens unvernünftig ist. Es bedeutet, dass ihr Verhalten in dieser Verhandlung nicht ihren erklärten Interessen dient. Zu den Auslösern können starke Emotionen gehören, die die Bewertung überlagern, „Alles-oder-Nichts“-Denken, Bedrohungen des Status oder der Identität, Sunk-Cost-Effekte (Weitermachen, weil man bereits Zeit oder Geld investiert hat, auch wenn die Fakten nun für einen anderen Kurs sprechen), Misstrauen gegenüber Motiven und Störungen des Prozesses (späte Überraschungen, wechselnde Tagesordnungen, vorgetäuschte Dringlichkeit). Behandeln Sie es als eine Situation, die es zu bewältigen gilt, und nicht als eine Persönlichkeit, die es zu beurteilen gilt.
Wie man es frühzeitig erkennt
In der Regel spürt man es zuerst am Tonfall und der Art der Unterhaltung. Die Sprache wird absolut – „nie“, „immer“, „nicht verhandelbar“ – und Gründe werden eher als Erklärungen denn als Begründungen vorgebracht. Wenn man ein Problem anspricht, verlagert sich der Fokus auf ein anderes; eine Einigung rückt immer weiter in die Ferne. Beweise werden nicht mehr gemeinsam geprüft, sondern als irrelevant abgetan. Kleine Hinweise auf den Status werden wichtiger, als sie sein sollten: wer zuerst spricht, wie eine E-Mail formuliert ist, ob ein Titel verwendet wird.
Zeitdruck tritt oft theatralisch auf: Dringende Forderungen tauchen ohne Vorwarnung auf, gefolgt von langen Pausen und dann neuer Dringlichkeit. Der Prozess selbst wird instabil – die Tagesordnung ändert sich mitten im Gespräch, Themen werden wieder aufgegriffen, nachdem sie zurückgestellt wurden, oder jemand verlässt dramatisch den Raum, um seine Stärke zu demonstrieren. Manchmal spürt man auch eine Diskrepanz zwischen den erklärten Zielen und dem, worauf die Gesprächspartner im Raum drängen, ein Hinweis darauf, dass unsichtbare Anreize oder Zielgruppen ihre Entscheidungen beeinflussen könnten.
Wenn mehrere dieser Aspekte innerhalb kurzer Zeit zusammen auftreten, sollten Sie dies als Zeichen nehmen, das Tempo zu ändern und den Prozess anzupassen. Bleiben Sie höflich, verlangsamen Sie das Gespräch etwas und wechseln Sie von der Diskussion von Argumenten zur Erörterung von Konsequenzen und Optionen. Sie geben nicht nach, sondern schaffen Bedingungen, unter denen wieder Vernunft einkehren kann.
Zehn praktische Schritte
1) Beschreiben Sie das Muster, nicht die Person: Beschreiben Sie Ihre Beobachtungen in einer neutralen, gesichtswahrenden Sprache und schlagen Sie eine kleine Anpassung vor. Sie lösen gemeinsam ein Prozessproblem, ohne jemanden zu beschuldigen. Eine ruhige, konkrete Wortwahl senkt die Abwehrhaltung und gibt beiden Seiten etwas Praktisches, das sie akzeptieren können.
2) Senken Sie die Temperatur, bevor Sie argumentieren: Menschen nehmen wenig auf, wenn die Emotionen hochkochen. Verlangsamen Sie Ihr Tempo, vereinfachen Sie Ihre Sätze und nutzen Sie kurze Pausen – oder eine kurze Unterbrechung –, um die Situation zu beruhigen. Betrachten Sie Gelassenheit als Werkzeug, nicht als Stimmung: Ihre Ausgeglichenheit lädt die andere Seite ein, ebenfalls gelassen zu bleiben.
3) Nehmen Sie die Bedenken genau wahr: Ein vages „Ich verstehe” kann hohl wirken. Nennen Sie die konkrete Sorge, die Sie hören, und überprüfen Sie, ob Sie sie richtig verstanden haben. Wenn Menschen sich richtig verstanden fühlen, hören sie auf, Ihre Motive anzuzweifeln, und beginnen, sich mit Ihren Ideen auseinanderzusetzen. Präzision spart hier später Zeit.
4) Wechseln Sie von Positionen zu Konsequenzen: Anstatt darüber zu diskutieren, wer Recht hat, fragen Sie, was unter jeder Option als Nächstes passiert: Was verbessert sich, was wird schwieriger, welche Risiken ändern sich? Konsequenzen rücken die Interessen wieder in den Fokus, ohne dass jemand zurückweichen muss. Halten Sie die Antworten sichtbar fest; das signalisiert Ernsthaftigkeit und schafft eine gemeinsame Grundlage.
5) Machen Sie die Entscheidung kleiner (und sicherer): Große Ja/Nein-Entscheidungen fühlen sich riskant an. Teilen Sie die Entscheidung in einen kurzen Versuch, einen begrenzten Umfang oder einen zeitlich begrenzten Schritt mit einem klaren Überprüfungstermin und dem Recht auf Anpassung auf. Ein einfaches Muster funktioniert gut:„Schritt 1 für zwei Wochen → gemeinsam überprüfen → Schritt 2 beschließen oder stoppen.”Kleinere Schritte verringern die Angst und schaffen Dynamik.
6) Verwenden Sie unabhängige Standards: Schlagen Sie klare Kriterien vor, die beide Seiten akzeptieren können – Benchmarks, Vorschriften, bisherige Praxis, einfache Kennzahlen – und prüfen Sie Vorschläge anhand dieser Kriterien. Wenn ein neutraler Maßstab einen Teil der Last trägt, fühlt sich die Diskussion fairer und weniger persönlich an, wodurch Emotionen das Ergebnis nicht beeinflussen können.
7) Ändern Sie den Prozess, nicht nur die Botschaft: Wenn die Gespräche immer wieder ins Stocken geraten, passen Sie die Rahmenbedingungen an: Wer ist anwesend, in welcher Reihenfolge werden die Themen behandelt, wie lange dauert das Treffen, oder teilen Sie die Gruppe in kleinere Gruppen auf? Eine kurze Sitzung unter dem Vorsitz eines neutralen Kollegen kann manchmal mehr bewirken als ein langes, angespanntes Treffen am selben Tisch.
8) Tauschen Sie Empathie gegen Informationen: Schaffen Sie einen Moment, in dem Offenheit möglich ist – ein kurzes Nebengespräch oder fünf Minuten „inoffiziell“ – und stellen Sie eine klare Frage zu Anreizen oder Einschränkungen. Hören Sie aufmerksam zu. Echte Fortschritte hängen in der Regel davon ab, dass man versteht, was für die anderen wirklich wichtig ist, aber nicht laut ausgesprochen wurde.
9) Bieten Sie Optionen an, die die Würde wahren: Präsentieren Sie zwei oder drei gangbare Wege, die es der anderen Seite ermöglichen, gegenüber ihren Stakeholdern kompetent zu wirken. Wenn das Gesicht gewahrt bleibt, steigt die Flexibilität. Entwerfen Sie Optionen, die alle respektabel sind, auch wenn nur eine davon bevorzugt wird.
10) Machen Sie die Ergebnisse – und Risiken – für beide Seiten konkret: Testen Sie höflich die Realität: Skizzieren Sie die kurzfristigen Auswirkungen, wenn Sie pausieren oder fortfahren, verbinden Sie sie mit den Zielen jeder Seite und bleiben Sie sachlich. Sie drohen nicht, Sie prognostizieren. Gemeinsame Klarheit über die Konsequenzen eröffnet oft einen praktischen nächsten Schritt.
Eine kurze Anmerkung zur 3D-Denkweise
Wenn das Verhalten „irrational” wird, hat es nur begrenzten Wert, sich am Verhandlungstisch noch mehr zu streiten. Gehen Sie eine Stufe höher:
Setup: Sind die richtigen Personen in der richtigen Reihenfolge beteiligt (das ist Sequenzierung – die Planung der Reihenfolge, in der Sie auf Personen, Themen und Angebote zugehen, um Dynamik aufzubauen und Widerstand zu verringern)? Werden Entscheidungen von anderen Stellen beeinflusst?
Deal-Design: Können Sie die Wert-Risiko-Verteilung, Pilotprojekte, Optionen und Sicherheitsvorkehrungen so umgestalten, dass die vernünftige Wahl auch sicher erscheint?
Taktik: Nutzen Sie Fragen, Framing und Verankerung, sobald die oben genannten Bedingungen dies zulassen.
Abschließender Gedanke
Wenn sie noch am Verhandlungstisch sitzen, ist ein Fortschritt möglich. Ändern Sie die Bedingungen – kühlen Sie den Raum ab, schützen Sie das Gesicht und planen Sie die Reihenfolge der Personen, Themen und Angebote – und die Vernunft wird Raum zum Atmen haben.
Nächster Schritt: Wenn Sie praktische Übungen und Vorlagen für diese Schritte wünschen, buchen Sie unser Advanced Negotiation Training oder fragen Sie nach einem kurzen 90-minütigen Online-Webinar/Workshop für Ihr Team.

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